Thema afrikanisches Kino

68. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, 30. April – 9. Mai 2022

 

Von Afrika lernen

Kurzfilmtage zeigen großes Themenprogramm zum afrikanischen Kino

 

Filmemachen auf dem afrikanischen Kontinent geht wie überall, nur unter verschärften Bedingungen. Jeder fertige Film komme einem Wunder gleich, kommentierte der burkinische Filmemacher Idrissa Ouédraogo (1954-2018) einmal. Gerade diese Bedingungen führen zu einem unternehmerischen und künstlerischen Erfindungsreichtum, der auch für westliche Länder wegweisend sein kann. Im Themenprogramm „Synchronisieren! Pan-afrikanische Filmnetzwerke“ geht es um genau solche Prozesse. Die Kurzfilmtage zeigen kein „Best of“ des pan-afrikanischen Kinos. Vielmehr führen sie mit zahlreichen Gästen dessen Vielfalt, Besonderheiten und Eigenständigkeit als Produktionsweise vor Augen. Gezeigt werden 23 Filme aus 9 Ländern, unter anderem Algerien, Kamerun oder Senegal, kuratiert von Marie-Hélène Gutberlet und Annett Busch (Women on Aeroplanes).

 

Die jüngere Generation

 

Das Themenprogramm präsentiert eine jüngere Generation von afrikanischen und diasporischen Filmemacher*innen, die es in Deutschland und Europa überwiegend noch zu entdecken gilt. In Résonances d'un rêve (2021) zum Beispiel ziehen Rim Harrabi, Rua Osmane, Salimata Bâ und Yosra El-Gazzar, besser bekannt als das Mouatheqat/DOX BOX collective, Verbindungslinien zwischen der tunesischen Studentenrevolte 1968 und dem Tunesischen Frühling 2021. In Street 66 (2018) schildert Ayo Akingbade (Kurzfilmtage-Preisträgerin 2017 für Tower XYZ) das Leben der ghanaischen Wohnungsbauaktivistin Dora Boatemah und ihre Arbeit im Londoner Stadtteil Brixton. Der kamerunische Regisseur Jean-Pierre Bekolo nähert sich in La grammaire de grand mère (1996) dem großen senegalesischen Filmemacher Djibril Diop Mambéty; in der Serie Our Wishes (2017/2020) erinnert Bekolo an ein unrühmliches Kapitel der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun. Jasmina Metwaly (Ägypten/Polen) unterhält sich in Anbar (Badrawi’s atelier, 2019) mit dem Schneider des ägyptischen Militärs. Amelia Umuhire (Ruanda/Deutschland) zeigt in ihrer Serie Polyglot, wie Migrant*innen in Europa versuchen, ihr Leben zu meistern. Fatou Kandé Senghor (Senegal) wiederum porträtiert in der Serie Walabok (2021) die 18-jährige Mossane, die in Dakar lebt und von Hip Hop und Tanz träumt.

 

Geschichte und Schlüsselmomente

 

Ihre Arbeiten werden ergänzt durch jüngere und ältere Filme, die Schlüsselmomente, Bezugssysteme und Herstellungsmethoden des pan-afrikanischen Films sichtbar machen. Dazu gehören unter anderem Paulin Soumanou Vieyras berühmte Beobachtung eines Drehs von Ousmane Sembène, L'envers du décor (1981), Mohamed Challoufs Porträt Tahar Cheriaâs, des Filmkritikers und Gründer des Karthago Film Festival, des ersten pan-afrikanischen Filmfestivals überhaupt, Tahar Cheriaâ à l'ombre du Baobab (2014) oder Challoufs OUAGA, capitale du cinéma (2000) über die Geschichte des FESPACO in Ouagadougou, nach wie vor eines der wichtigsten pan-afrikanischen Filmfestivals. In dem 1969 bei den Kurzfilmtagen preisgekrönten Concerto pour un exile (1968) zeigt Desiré Ecaré das Leben einer Gruppe afrikanischer Studenten in Deutschland. Der älteste Film im Programm ist Integration Report 1 (1960) der US-amerikanischen Filmemacherin Madeline Anderson, die am Beispiel Kenias nachvollzieht, wie sich eine schwarze Bürgerrechtsbewegung formiert.

 

„King Sunny Adé, nigerianischer Musiker und Entrepreneur, veröffentlichte 1983 ein Album mit dem Titel Synchro System. Auf dem Cover sind achtzehn Musiker abgebildet, jeder mit einem anderen Instrument. Sich mit und durch Synchro System zu synchronisieren, meint eben nicht Gleichschritt sondern juju, also Bewegungsabläufe. Ein asynchron-synchrones Universum des Polyrhythmischen öffnet sich und koordiniert sich zugleich. Die Synchro System Idee als eine Art Anleitung zur Zusammenarbeit (und was sich davon lernen lässt), als grenzüberschreitendes audiovisuelles Bezugssystem, aber auch als Impuls mit katalysierender Wirkung, war uns bei der Programmauswahl Methode und Ausgangspunkt“, erläutern die Kuratorinnen.

 

Ergänzt werden die Filmprogramme durch eine Podiumsdiskussion zu „Arbeitsmethoden“ mit Salimata Bâ, Yosra El-Gazzar, Abdessamad El Montassir, Rim Harrabi, Rua Osmane und anderen, moderiert von Hélène Gutberlet und Annett Busch.

 

Die Kuratorinnen

Annett Busch (Trondheim) und Marie-Hélène Gutberlet (Frankfurt am Main) betreiben seit 2017 gemeinsam und in verschiedenen Konstellationen die Agency for Flying Ideas Women on Aeroplanes (http://woa.kein.org). Sie entwickeln Methoden, die sich in forschungsbasierten Ausstellungen oder transversalen Evening Classes realisieren, als Inflight Magazine und Zusammenkünfte mit Stationen in Berlin, Lagos, Bayreuth, London, Warschau, Frankfurt/Main, Johannesburg, Kigali. Beide kuratieren seit 20 Jahren Filme von Filmemacher*innen aus dem afrikanischen Kontinent und der Diaspora. Im Zentrum ihrer Arbeit steht der Film als Vehikel einer Geschichte, die sich anders erzählt und vermittelt, als die Geschichtsbücher uns glauben machen. Die es ermöglicht, Perspektiven und Erfahrungen im öffentlichen Raum kennen zu lernen, aufzufächern, und Formen eines nicht-hegemonialen Wissens aufzuzeigen.

Druckfähige Stills aus den ausgewählten Filmen stehen hier zum Download bereit.

Oberhausen, 24. März 2022

 

Pressekontakt: Sabine Niewalda, T +49 (0)208 825-3073, niewalda(at)kurzfilmtage.de