Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit. Podium Kulturtheorie
Auseinandersetzungen mit Sexismus, Rassismus und anderen Formen von Menschenfeindlichkeit haben in den vergangenen Jahren zur Diskussion und kritischen Überprüfung von Programmatik und Haltung von Kulturinstitutionen geführt. Insbesondere die parlamentarischen Erfolge der AfD mündeten zudem im Anspruch an Kulturinstitutionen, sich zu politischen Debatten zu verhalten. Mittlerweile scheinen die entstandenen Ansprüche jedoch in eine Falle zu laufen. Immer häufiger ist von dem ursprünglich durch rechte Akteure eingeführten Begriff „Cancel Culture“ die Rede. Wo Veranstaltungen aufgrund politischer Erwägungen verschoben oder abgesagt werden, lauert der Vorwurf der Zensur. Boykottaufrufe und Proteste entstehen gegen die Zusammenarbeit mit Personen oder Institutionen ihrer Positionierung wegen. Das verursacht bei allen Beteiligten Unsicherheit. Wo zunehmend mit Mitteln der kollektiven Organisierung und Skandalisierung gearbeitet wird, um Druck auf Personen und Institutionen auszuüben, droht die Idee von Kritik in Konformismus umzuschlagen. Ausgehend von einer Kampagne gegen die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen diskutieren Befürworter, Gegner und Beobachter dieser und ähnlicher Kampagnen die Frage: Kommt die größte Gefahr für kritische Diskussionen über den Umgang mit politischen Themen innerhalb des Kulturbetriebs aus dem Kulturbetrieb selbst?
1. Mai 2024 13:30 Uhr Podium Kulturtheorie
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21.05.2024
Alexandra
Zwei Anmerkungen habe zu diesem Podium , insbesondere der Frage woher kommt die Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit.
1. In seinem Text „ Wozu Kultur“ ( 2001) beschrieb Dirk Baecker die postmoderne Kultur als eine Kultur der Irritation. Sie wird oft auf den Nenner Beliebigkeitserfahrung gebracht, nach dem Motto: alles ist möglich, aber es ändert sich nichts an den Verhältnissen. Der Kulturarbeiter der Moderne war der Intellektuelle. Der Kulturarbeiter der Postmoderne wird zum Spieler, der sich am Programmierer misst. Er misstraut allem und jedem, überall wittert er ein Medium, das die Möglichkeiten der Kommunikation festgelegt hat. Jedem Sinn wird misstraut, jede Wahrheit hinterfragt. Überall bricht der Glaube an Objektivität und Rationalität zusammen, Wahrheit ist nicht gegeben sondern konstruiert.
Aus dieser Verunsicherung könnte also ganz allgemein die Sehnsucht nach einer allgmeingültigen Wahrheit stammen, die im Podium diskutiert wurde. 2. Bei der sogenannten cancel culure geht es aber vielleicht weniger um Wahrheit als um Moral. Hierzu ein paar Gedanken des Philosphen Emmanuel Levinas.
Die europäische Philosophie hat es sich nach Levinas mit dem Ethischen zu leicht gemacht, denn das Ethische geschieht nach Levinas nur in der Trennung. Das Ethische schafft Verunsicherung und stört das eigene Leben, denn es ist nie feststehend und ruhig, sondern bewegend, mitnehmend, verunsichernd. Was das Ethische hervorruft, ist die unmittelbare Schutzlosigkeit des Anderen ohne vermittelndes Drittes oder allgemeine Moral und es hat keine Stütze in irgendeiner Theorie.
Das theoretisch Ethische, das in Gesetzen, Normen oder Regeln formuliert wird, führt dazu, anhand dieser Normen über gut und böse zu richten und in einem Wir aufzugehen, das über Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit einer Moralgemeinschaft entscheidet, die im guten Glauben andere ein- und ausschließt, ohne sich selbst fragen zu müssen, ob das gut oder böse ist. Moralgemeinschaften bergen deshalb die Gefahr, des Totalitarismus. Nur im Namen eines theoretisch Ethischen kann ein Mensch sich zum Richter über Andere aufspielen.
Schade übirgens, dass es keine Diskussion mit dem Publikum gab, wo Bazon Brock doch so schön eingeleitet hat, welche Bedeutung es hat(te). Danke an Herrn Brock für seinen Widerspruch.
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